Mittwoch, 12. Oktober 2016

Das träge Wachstum und der drohende Hysterese-Effekt

Eine der wichtigsten faktischen Gegebenheiten aus dem bisherigen Verlauf der Krise ist ohne Zweifel die empirische Beobachtung, dass die Lohnmoderation die Arbeitslosigkeit nicht senkt. Ganz im Gegenteil: Fallen die Löhne, steigt die Arbeitslosigkeit.

Je länger die Nachfrageschwäche anhält, desto schwerer wird die Last auf dem Potentialwachstum der Wirtschaft. Während die Produktionskapazität abnimmt, verlassen arbeitslose Menschen die Erwerbsbevölkerung.

Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise (GFC) sind mehr als acht Jahre vergangen. Das BIP ist in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften immer noch weit von dem Vor-Krise-Trend. Und keine aktuelle Prognose deutet darauf hin, dass die Lücke jemals geschlossen würde, wie Antonio Fatas und Larry Summers in einem lesenswerten Artikel in voxeu bemerken.

Mit Bezug auf den 1999-2007 Trend liegt das europäische BIP heute etwa 15% niedriger. Nach IWF-Schätzungen dürfte die Eurozone sogar noch bis zum Jahr 2021 ca. 15% unter dem potentiellen BIP-Niveau verweilen.

Fatas und Summers unterstreichen vor diesem Hintergrund, dass in der Forschung seit den 1980er Jahren die Ansicht etabliert hat, dass Schwankungen hartnäckig sind und möglicherweise dauerhafte Auswirkungen auf das BIP-Niveau entfalten.


Eurozone BIP und Potenzial-BIP, Graph: Antonio Fatas and Larry Summers in: voxeu


Der Ausgangspunkt war aus wirtschaftlicher Sicht, dass die Technologie-Schocks grundlegend als eine treibende Kraft hinter den Konjunkturzyklen stecken. Die Wirtschaftsmodelle, die diese Schlussfolgerung verwenden, betrachten aber das Wachstum als exogen und unabhängig von Schwankungen, wobei nur Technologie-Schocks als dauerhaft angenommen werden, während Nachfrage-Schocks als vorübergehend gelten.

Fatas und Summers hingegen stellen die Frage, ob es möglich ist, dass die zyklischen (Nachfrage) Schocks dauerhafte Effekte durch Hysterese-Effekte auslösen können. Die Autoren bejahen die Frage, ohne zu zögern, weil die konjunkturelle Arbeitslosigkeit in eine langfristige Arbeitslosigkeit münden kann.

In der Tat, wenn wir das Wachstum als endogenes Phänomen betrachten, liegt es nahe, anzunehmen, dass sich aus jeder Krise Hysterese ergeben kann. Eine logische Hypothese ist, dass die Kräfte, die das Wachstum antreiben, während Rezessionen nachlassen. Und eine solche  Hypothese wird durch die Beweise untermauert, dass Investitionen in Sachkapital, F&E und die Einführung von neuen Technologien dazu neigen, zyklisch zu sein.

Wenn dies so offensichtlich ist, warum schliesst die herrschende Volkswirtschaftslehre Hysterese-Effekte in ihre Modelle nicht ein?

Das Mainstream-Wirtschaftsmodell von Schwankungen behandelt nämlich langfristiges Wachstum als exogen und sieht nur Technologie-Schocks als verantwortlich für die Trendveränderungen an. Per Definition wird also die Möglichkeit von Hysterese ausgeschlossen.

Es mag analytisch eine Herausforderung sein, Wachstum als endogen im Zusammenhang mit Schwankungen zu betrachten. Aber es gibt empirische Beweise, dass Hysterese-Effekte häufig vorkommen und gross sind, legen Fatas und Summers weiter dar und halten fest, dass die politischen Entscheidungsträger die Möglichkeit einer Hysterese endlich ernsthaft berücksichtigen sollten.

Die Einbeziehung der Möglichkeit einer Hysterese in die politischen Entscheidungen kann im Wesentlichen auf die Art und Weise Einfluss nehmen, wie wir über die Rolle der Geld- und Fiskalpolitik nachdenken.

Denn das verhängnisvolle Festhalten am Kurs der Haushaltskonsolidierung hat in der Eurozone so tiefe Spuren (wirtschaftlich und sozial) hinterlassen, dass es nicht schwer ist, einzusehen, dass die auf die herrschende Lehre zurückzuführende Austeritätspolitik (fiscal austerity) in einer Depression mehr als fragwürdig ist.


Keine Kommentare: